Superfood, Medizin und Markenbotschafter – Was hat es mit dem Hanf-Trend auf sich?

Es ist nichts Neues, dass ein Rohstoff oder Produkt, das seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten, manchmal sogar seit Jahrtausenden existiert, plötzlich gehypt wird. Mate zum Beispiel avancierte dank Koffein-süchtiger Hipster zum Trendgetränk. Ein anderes Beispiel sind Birkenstocks, die urplötzlich ihr Öko-Latschen-Image verloren und seitdem als coole Sommerschuhe nicht mehr aus den deutschen Innenstädten wegzudenken sind. Auch die Kulturpflanze Hanf erlebt gerade wieder ein großes Revival – als Superfood, als Medikament und auch als Markenbotschafter. Was bedeutet das für das Image der Pflanze? Was bedeutet das für die Aktivisten, die seit langem für die Legalisierung kämpfen? Und was bedeutet das für die Industrie, die sich still und heimlich in Stellung bringt?

Umweltverträglich, ressourcenschonend und pflegeleicht

Zur Erinnerung: Hanf ist besser als sein Ruf. Die Pflanzen sind pflegeleicht und schädlingsresistent, verfügen geerntet über eine hohe Haltbarkeit sowie Umweltverträglichkeit und sind ressourcenschonend dank hervorragender Energiebilanz. Aus dem Rohstoff können Waren wie Kleidung, Dämmmaterialien, Schiffstaue und Teppiche hergestellt werden. Zudem sind die Samen essbar. Sie enthalten Proteine, Kohlenhydrate und wichtige Fette sowie Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe. Als Superfood eroberte Hanf im letzten Jahr bereits die Bioläden und Reformhäuser, wenngleich es die Samen noch nicht in allzu viele Cafés geschafft haben, um dort mit anderen Toppings wie Açai-Beeren zu konkurrieren.

Dafür ist Hanf längst im Blick von Marken, die mit der Pflanze ihre Coolness unter Beweis stellen wollen. Allein in der vergangenen Woche erreichten zwei Pakete mit Hanfprodukten unser Büro. So schickte der Schokoladenhersteller Ritter Sport uns einige Tafeln seiner limitierten (und mittlerweile ausverkauften) „Schoko & Gras“-Edition. Statt auf die vielen Vorzüge der Hanfsamen zu verweisen, wird ein „Vollmilchrausch“ versprochen. Das verruchte Image wird volle Schiene ausgeschlachtet. Und die Menschen, die sich für Hanf interessieren, stehen plötzlich vor einem Dilemma: Einserseits finden sie es gut, dass der Pflanze so viel Publicity zukommt, andererseits schadet das Reduzieren auf die Rausch-Komponente, sodass gesellschaftliche Stereotype gefördert werden.

Zumindest in Berlin scheut sich niemand mehr davor, einen Joint anzuzünden

Immerhin, die junge Generation denkt schon lange anders über Hanf als ihre Eltern und Großeltern. Zumindest in Berlin scheut sich niemand mehr davor, auf Partys, auf der heimischen Couch oder sogar im Vorbeispazieren an einem Polizisten einen Joint anzuzünden. Zumal immer mehr Menschen das ohnehin „legal“ dürfen. Seit dem vergangenen Jahr können Ärzte unter anderem Schmerzpatienten und chronisch kranken Menschen Cannabis auf Rezept verschreiben. In den Apotheken der Stadt laufen mittlerweile die Grinder („Kräutermühle“) heiß, da die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt und es mitunter zu Lieferengpässen kommt. Und selbst, wer keine Ausnahmegenehmigung hat, muss selten eine Strafverfolgung fürchten – das Zauberwort lautet „Eigenbedarf“. Allein mit der Führerscheinstelle droht eine anstrengende Auseinandersetzung, wenn man mit THC im Blut in eine Verkehrskontrolle gerät, auch wenn der letzte Joint schon einige Wochen her ist.

Sowohl das Interesse der Lebensmittel- und Genussindustrie als auch die Stärkung der medizinischen Position deuten darauf hin, dass Deutschland den amerikanischen Weg einschlagen wird, wenn eines Tages die letzten politischen Hürden genommen sind. Aus zunächst einzeln ausgegebenen Rezepten für Schwerstkranke werden Rezepte für Menschen, die Mariuhana wegen kleinerer (oder gefakter) Beschwerden erhalten, in Wahrheit aber des Genusses wegen konsumieren. Die Apotheken werden regelrecht überlaufen, so dass Coffeeshop-ähnliche Geschäfte entstehen, die von großen Firmen wie Caféketten geleitet werden. Noch ist das Big Business nur auf dem Papier ausformuliert. Dass Marken wie Ritter Sport mit ihren Image-Kampagnen so viel Erfolg haben, zeigt den Unternehmen jedoch, dass es was zu holen gibt. Und wiederum sind Legalisierungs-Aktivisten hin- und hergerissen. Denn grundsätzlich werden klare, legale Regelungen gewünscht, doch Weltkonzerne wie Nestlé und Co. von vielen vehement abgelehnt.
Es bleibt spannend, wie es mit dem Trend weitergeht und was die permanente Anwesenheit von Hanf in unserem Alltag langfristig aus unserer Einstellung zu einer Pflanze macht, die mehr als THC-Lieferant ist.

 

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